Gemeinschaftsgärten als Orte transdisziplinären Lernens: GemüseheldInnen
Gemeinschaftsgärten als Orte transdisziplinären Lernens: GemüseheldInnen
Wie entstehen partizipative Lehrformate – und an welchen Orten? Welche Räume halten Städte bereit, wenn es um innovative und kollaborative Lernerfahrungen geht? Die AG Transdisziplinäre Didaktik setzte im April 2025 ihre Reihe „Die Stadt als Labor“ fort und besuchte die Stadtfarm der GemüseheldInnen in Frankfurt am Main.
Frankfurt-Sachsenhausen, Anfang April. Die Frühlingssonne meint es gut, als die AG Transdisziplinäre Didaktik, unterstützt durch die AG Performative Soziologie der Gesellschaft für Transdisziplinäre und Partizipative Forschung die Stadtfarm der GemüseheldInnen besucht: ein urbanes Landwirtschaftsprojekt, das zeigt, wie aus Brachland ein Ort kollaborativer Wissensproduktion werden kann. Was 2019 mit einem wild bepflanzten Stück Stadtgrün und einer Portion Idealismus begann, ist heute eine wachsende Bewegung. Die Gründerinnen Juliane Ranck und Laura Setzer hatten damals einen radikalen Anspruch: Frankfurt essbar machen – ohne Importwege, ohne Pestizide, ohne Zugriff auf fremde Böden. Und sie fingen einfach an. Mit einer Müllsammelaktion.
Stadtgärten statt Stillstand
„Aus zwei wurden dann zehn, aus zehn fünfzehn – und nach einem halben Jahr waren wir schon bei fünfzig“, erinnert sich Philina Schmidt, die heute für Kommunikation und Projektkoordination bei den GemüseheldInnen verantwortlich ist. Sie und ihre Kollegin Anna Zollner, Leiterin des Bildungsbereichs, führen über das Gelände. Wo einst Bauschutt lag, wachsen heute Bohnen, Beete und Biotope.
Inzwischen bewirtschaftet das Kollektiv rund 15.000 Quadratmeter in fünf Frankfurter Bezirken. Der Erfolg? Sichtbar, schmeckbar, überzeugend. Und er zieht Kreise: „Wir haben euch im Fernsehen gesehen“, hören die GemüseheldInnen oft von neuen Mitstreiter*innen.
Permakultur und Partizipation
Die Initiative setzt auf Permakultur – nicht nur im Garten, sondern als Prinzip: Verantwortung für die Erde, für Menschen, für Gerechtigkeit. Dabei geht es um mehr als Tomaten. Es geht um Lern- und Gestaltungsspielräume: „Das Projekt wabert mit den Fähigkeiten der Personen“, sagt Anna Zollner. Beispiel Sina (Name geändert): Biochemikerin, Vollzeitjob, aber mit einem Faible für Excel und Jungpflanzen. Sie entwickelte kurzerhand die gesamte Anbaulogistik. So entstehen kleine Wissensfelder, getragen von Einzelnen – und wachsen zusammen zu einem lebendigen Gesamtsystem.
Wissen säen, Wandel ernten
Was zunächst als loses Weitergeben von Gärtnerwissen begann, ist heute ein strukturiertes Format: die StadtfarmerInnen-Ausbildung. Ein Jahr lang, jeweils an einem Wochenende pro Monat, lernen die Teilnehmenden alles von gewaltfreier Kommunikation bis zu Market Gardening. Ziel: Multiplikatorinnen ausbilden, die Urban Farming weitertragen. Die Referent*innen? Menschen aus dem Projekt, die ihr Wissen im Tun entwickelt haben. „So entsteht nicht nur Gemüse, sondern auch echtes Empowerment“, sagt Philina. Viele starten im Anschluss eigene Initiativen. Ergänzt wird das Angebot durch einen Permakultur-Lehrpfad mit 30 Stationen – und die Publikation Urban Farming (Ranck und Setzer 2021), in der Geschichte und Prinzipien des Projekts erstmals gebündelt wurden.
Utopie mit Herausforderungen
So idealistisch das Projekt klingt – es ringt mit realen Fragen. Etwa: Wie divers ist ein solches Biotop wirklich? Welche Bildungsbiographien finden hier zusammen? „80 Prozent der Aktiven kommen aus dem Bildungsbürgertum“, räumen Anna und Philina ein. Und: Wie geht man mit Vandalismus um? Eine Antwort: ungewöhnliches Gemüse pflanzen, das Dieb*innen nicht als essbar erkennen. Oder: ins Gespräch kommen, auch mit Dolmetscherin. Neben Mitgliedsbeiträgen und Bildungsarbeit lebt das Projekt vor allem von städtischer Förderung. Zwei Vollzeitstellen können so getragen werden – „aber wir gehen jedes Jahr mit einer Lücke rein“, sagt Philina.
Was bleibt nach unserem Besuch? Ein Bild von einer Do-it-yourself-Initiative, die Urban Gardening als Wissensallmende und kollektive Lernerfahrung versteht. Anna Zollner ergänzt: „Bei uns bringen Menschen das ein, was sie lieben – und manchmal entsteht daraus etwas, das keiner geplant hat.“ Transdisziplinäres Lernen entfaltet seine Kraft eben dort, wo die Pluralität von Wissensformen auf vielfältige Bildungsbiographien trifft – und Partizipation nicht Anspruch bleibt, sondern Praxis wird.
Weiterführende Literatur
Baier, Andrea; Müller, Christa und Werner, Karin. 2024. Die ganze Stadt ein Gemüsegarten. Wie die GemüseheldInnen in Frankfurt Gemeinschaftsgärtnern mit professionellem Gemüseanbau verbinden. In Unterwegs in die Stadt der Zukunft: Urbane Gärten als Orte der Transformation, Hrsg. Andrea Baier, Christa Müller und Karin Werner, 376-379. Bielefeld: transcript.
Ranck, Juliane und Setzer, Laura. 2021. Urban Farming. Gemüse anbauen, gemeinschaftlich gärtnern, Ernährungssouveränität schaffen. Innsbruck: Löwenzahn.
Fotos: Thorsten Philipp