Stellungnahme: Experimentierräume nachhaltig und partizipativ gestalten
Reallabore-Gesetz: Experimentierräume nachhaltig und partizipativ gestalten
Pressemitteilung vom 18. September 2023
Das Netzwerk „Reallabore der Nachhaltigkeit“ begrüßt die Erarbeitung eines bundesweiten Reallabore-Gesetzes wie vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) angeregt und fordert wesentliche Ergänzungen etwa bei der Ausrichtung auf Nachhaltigkeit, harmonisierte Mindeststandards und Partizipation der Zivilgesellschaft. Das Netzwerk als Zusammenschluss von mehr als 50 Organisationen der deutschsprachigen Reallabor-Community mahnt in einer aktuellen Stellungnahme insbesondere an, dass Ergebnisoffenheit und der gesellschaftliche Diskurs bei der Erprobung von technischen und sozialen Innovationen in Reallaboren nicht vernachlässigt werden dürfen.
Die Gesellschaft für transdisziplinäre und partizipative Forschung e.V. hat die Stellungnahme unterzeichnet.
„Ob künstliche Intelligenz oder der beschleunigte Ausbau der Windenergie – Zukunftsinnovationen brauchen gesellschaftliche Diskurse, an denen sich alle interessierten Akteure insbesondere aus der Zivilgesellschaft beteiligen können“, erklärt Dr. Regina Rhodius, Expertin für Reallaborforschung am Öko-Institut. „Nur so können breite gesellschaftliche Koalitionen entstehen, die dann auch herausfordernde Situationen etwa bei der Nachhaltigkeitstransformation mittragen.“
„Reallabore verfolgen einen experimentellen Ansatz und bieten dabei die Chance, dass Wissenschaft und Gesellschaft gewissermaßen unter ‚echten‘ Bedingungen zusammenkommen, um gemeinsam möglichst tragfähige Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen wie etwa die nachhaltige Gestaltung von Pendelmobilität zu entwickeln und zu testen“, sagt Dr. Oskar Marg, Experte für transdisziplinäre Forschung am ISOE - Institut für sozial-ökologische Forschung. „Die gesetzlichen Rahmenbedingungen der Reallabore sollten dabei aber so gestaltet werden, dass der Fokus auf Nachhaltigkeit nicht verloren geht und die gesellschaftliche Beteiligung möglichst breit ausfallen kann, damit die entwickelten Lösungen auch mitgetragen werden.“
Konsequente Ausrichtung an Nachhaltigkeit
Das Netzwerk betont zudem, dass wirksame Reallabore grundlegende Charakteristika erfüllen müssen, um ihr volles Potenzial entfalten zu können. Die im Grünbuch Reallabore des BMWK genannten übergreifenden Standards sollten deshalb um Kriterien ergänzt werden wie zum Beispiel Forschungsorientierung: Reallabore dienen auch dazu, neues Wissen zu erzeugen; Akteursvielfalt und Partizipation: vielfältige Akteure aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und vor allem der Zivilgesellschaft werden angemessen einbezogen; Laborcharakter: Reallabore sind Räume für gesellschaftliche Experimente, die ergebnisoffen und reversibel durchgeführt werden; sowie Bildung: Reallabore dienen als transdisziplinäre Lern- und Bildungsräume.
Das Netzwerk hebt insbesondere die konsequente Orientierung von Reallaboren an Nachhaltigkeitszielen für die gesetzliche Ausgestaltung der Experimentierräume hervor. So sollte im Reallabore-Gesetz verbindlich verankert werden, dass Reallabore Nachhaltigkeit als erste Prämisse für das Erproben von Innovationen setzen.
„Reallabore sollten sich am Konzept der starken Nachhaltigkeit orientieren und wirtschaftliche und soziale Innovationen im Rahmen planetarer Grenzen ermöglichen“, fordert Dr. Oliver Parodi, Sprecher des Netzwerks „Reallabore der Nachhaltigkeit“. „Alles andere wäre nicht nur unzeitgemäß, sondern auch politisch unverantwortlich. Nicht zuletzt auch, weil der Koalitionsvertrag der Bundesregierung das Erreichen von Nachhaltigkeitszielen einfordert.“
Partizipation für eine starke Beteiligung von Zivilgesellschaft
Weltweit sind Reallabore und ähnliche ‚Labs‘ in den letzten Jahren zu einer wichtigen Einrichtung in der transdisziplinären und transformativen Forschung und Praxis geworden. In ihnen können innovative Ideen und neue gesellschaftliche Praktiken konkret und praxisnah entwickelt, erprobt und erforscht werden. Damit werden Reallabore zu Inkubatoren des Wandels und können zu einer nachhaltigen Entwicklung unserer Gesellschaft beitragen.
Wichtigster Pluspunkt von transdisziplinär angelegten Reallaboren ist dabei die Interaktion von Sektor-, Branchen-, Disziplinen- und Technologie-übergreifend arbeitenden Akteuren und Akteurinnen. Das Reallabore-Gesetz und der geplante One-Stop-Shop Reallabore – also eine zentrale Anlaufstelle für die Beratung der Praxis, Wissenssammlung und Wissenstransfer in die Gesetzgebung – sollten dabei die Rolle der Zivilgesellschaft weiter stärken. Dazu gehört neben einer adäquaten Ansprache auch die verstärkte finanzielle Förderung ihrer Arbeiten im Reallabor.
Über das Netzwerk „Reallabore der Nachhaltigkeit“
Das Netzwerk „Reallabore der Nachhaltigkeit“ umfasst 50 Organisationen sowie über 80 aktive und abgeschlossene Reallabore im deutschsprachigen Raum. Die Akteure im Netzwerk arbeiten seit mehr als zehn Jahren in und zu Reallaboren. Sie haben sowohl den theoretischen Diskurs als auch die Verwirklichung von Reallaboren maßgeblich mitgeprägt und in diesem Zeitraum wichtige Beiträge zur Entwicklung, Umsetzung, Rahmensetzung und Förderung von Reallaboren geleistet.
Herausgebende Institutionen der Stellungnahme zur Initiative des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) für ein Reallabore-Gesetz sind:
- Ecological Research Network (Ecornet),
- Frankfurt University of Applied Sciences (FRA UAS),
- Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR),
- ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung,
- Karlsruher Institut für Technologie (KIT),
- Leuphana Universität Lüneburg,
- Öko-Institut,
- Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie (WI)
- Gesellschaft für transdisziplinäre und partizipative Forschung e.V.
- sowie weitere Akteure des Netzwerkes Reallabore der Nachhaltigkeit.
Weitere Informationen:
Konsultationsprozess des Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz